Wein, Wandern und Weitblick
So manches rheinhessische Weingut hat schon ein paar hundert Jahre auf dem Buckel und verzaubert nicht nur mit seinen Weinen, sondern auch mit einem einzigartigen Ambiente, durch das die Geister des Weins und der Zeit wehen. Dabei gibt es die Region Rheinhessen erst seit gut 200 Jahren. Und trotzdem kann der Landstrich auf eine bewegte Geschichte zurückblicken.
Kein geringerer als Gaius Julius Caesar machte den Rhein zur Grenze zwischen Gallien und Germanien und Moguntiacum, das heutige Mainz, zur Hauptstadt der Provinz Obergermanien. Im Mittelalter wurde die Gegend um Mainz und Worms mit ihren fruchtbaren Böden zu einem bedeutenden Zentrum europäischer Geschichte: Hier schlugen die Salier- und Stauferkaiser ihre Zelte auf. Auch in den Zeiten der Französischen Revolution war Rheinhessen einer der Mittelpunkte des Geschehens: Bis 1814 gehörte es zum napoleonischen Frankreich und bereits 1793 entstand mit der Mainzer Republik das erste demokratische Staatswesen auf deutschem Boden. Im Zuge der territorialen Neuordnung durch den Wiener Kongress griff am 8. Juli 1816 der Großherzog von Hessen-Darmstadt nach dem Gebiet und gründete „Rhein-Hessen“. Die Hundertjahrfeier fiel ins Kriegsjahr 1916 und daher nicht allzu groß aus. 2016 wurde hingegen groß gefeiert.
Heimat der Scheurebe
Zudem gab es ein weiteres Jubiläum zu feiern: Vor hundert Jahren züchtete Georg Scheu die nach ihm benannte Weißweinsorte Scheurebe, eine Kreuzung aus Riesling und Bukettraube, deren Aroma an Cassis und Grapefruit erinnert. Die fand gerade vor Ort beste Bedingungen, denn sie verträgt recht trockene und karge Böden und kommt gut mit Löß- und kalkhaltigem Untergrund zurecht. Von rund 1.400 Hektar Rebland, das aktuell deutschlandweit mit Scheurebe bestockt ist, liegen allein 698 Hektar in Rheinhessen. Wurde die Scheurebe früher eher lieblich ausgebaut, machten sich vor allem junge Winzer in Rheinhessen im hundertsten Jubiläumsjahr daran, den Ruf der Scheurebe auf den Kopf zu stellen und damit mächtig aufzupolieren. Scheurebe trocken ist mittlerweile ein Begriff – made in Rheinhessen.
Viel Wasser ist seither wieder den Rhein hinabgeflossen – und mancher Schoppen ins Glas. Denn Rheinhessen liegt am Rheinbogen im Städtedreieck Mainz, Worms und Bingen. Und hier wachsen auf rund 27.000 Hektar Rebfläche in mehr als 400 Einzellagen spannende Weine heran. Die (politische) Gesamtfläche der Region beträgt ca. 1.400 Quadratkilometer und somit gehört rund ein Fünftel dem Wein! Das größte deutsche Weinanbaugebiet hat einen großen Anteil daran, dass deutsche Weine in der Vergangenheit qualitativ immer besser geworden sind und braucht sich hinter keiner anderen (zumindest deutschen) Weinbauregion zu verstecken.
73 Prozent der Weine waren 2021 weiß (darunter Riesling mit 19, Müller-Thurgau mit 15, Grauer Burgunder mit acht und Silvaner mit sieben Prozent), 27 Prozent rot (darunter Dornfelder mit zwölf und Spätburgunder mit fünf Prozent). Aber auch so spannende Reben wie Sauvignon Blanc, Chardonnay oder sogar Auxerrois sind im Kommen. Etwa 4.000 Winzer keltern pro Jahr etwa 2,5 Millionen Hektoliter und somit über 300 Millionen Flaschen Rebensaft. So gut wie alle der 136 Gemeinden Rheinhessens, nämlich 133 haben mit dem Weinbau zu tun!
Weltweit beachtete Weinbauregion
Rheinhessen gehörte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der weltweit hoch beachteten Weinbauregionen. Zwar verlor es im Laufe der letzten hundert Jahre an Bedeutung, da Quantität vor Qualität ging. Doch das änderte sich in den vergangenen Jahren von Grund auf: Immer mehr junge Winzergenerationen besinnen sich auf ihre Wurzeln und verbinden das Wissen der Vorfahren mit moderner Weinbautechnik, so dass der Wein aus Rheinhessen mittlerweile bei Wettbewerben und Prämierungen erneut die ersten Ränge einnimmt.
Die Böden der Region bestehen vor allem Löss sowie Mergel mit hohem Lehmanteil. Die Gesteine im Untergrund entstammen überwiegend dem Tertiär; in dieser Zeit war das Gebiet des heutigen Rheinhessens von einem Meer, dem „Mainzer Becken“ bedeckt. Durch seine von Hunsrück, Odenwald und Taunus geschützte Lage gehört der Landstrich heute jedoch zu einem der trockensten und wärmsten Gebiete Deutschlands, was nicht nur dem Wein-, sondern auch dem Obstbau zu Gute kommt: Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt ca. 11 Grad Celsius, die in der Vegetationszeit rund 16 Grad – Tendenz steigend.
Wein als Tourismusmagnet
Auch der Tourismus profitiert vom regenarmen Klima und unzählige Wanderwege laden Bewohner und Besucher gleichermaßen zu entspannenden Spaziergängen auf ruhigen Pfaden ein. Und ein wachsendes Radwegenetz bietet spannende Strecken für Fahrer von E- und Bio-Bikes (also die nur mit eigener Muskelkraft betriebenen). Die Strecken sowie eine Vielzahl von Lehr- und Erlebnispfaden zu spannenden Themen rund um die rheinhessische Natur- und Kulturlandschaft führen mitten durch die Weinberge und entlang des Rheins.
Da sind die Alsheimer Hohlwege, die Selztal-Terroir-Routen, die hügeligen „Hiwwel-Touren“, die Siefersheimer Bänkelches-Route und der Rheinterrassen-Weg von Mainz nach Worms: Man entdeckt mit den Trullos urige Weinberghäuschen, Aussichtsstürme laden zum rheinhessischen Rundblick über das „Land der tausend Hügel“ ein und man braucht nicht lange zu suchen, um einen gemütlichen Weinausschank zu finden. Vor allem die Rheinfront hält in reizvoller Lage zwischen Strom und den Rheinauen sehens- und gehenswerte Wege bereit.
Apropos Strom: Nicht nur zur Saison des „Weißen Goldes“ fällt die „Verspargelung“ Rheinhessens auf, womit allerdings weniger das königliche Gemüse als vielmehr die wachsende Anzahl von Windrädern gemeint ist. Von manchem als Verschandelung der Landschaft angeprangert, beweist der Akzent auf regenerative Energien vor allem die Vorreiterrolle Rheinhessens, wenn es darum geht, die Stromgewinnung möglichst nachhaltig und verantwortungsvoll zu betreiben. Darauf kann man ruhig mal anstoßen – zum Wohle!