Weine, die fast in den Himmel wachsen
So mancher Winzer von der Mosel wird neidisch zum Beispiel in die Pfalz blicken: Nahezu ebene Rebzeilen, soweit das Auge reicht – also leicht zu ernten. Bei ihnen geht’s hingegen zuweilen steil nach oben und Wein wird auch dort angebaut, wo die Hangneigung bis zu 68 Prozent beträgt. Doch wie heißt es so schön: Per aspera ad astra – durch Mühen zu den Sternen, denn gerade in diesen Steillagen wachsen an der Mosel Trauben für hervorragende Weine.
Die Weinbauregion Mosel, Saar und Ruwer gilt als älteste Deutschlands. Hier wurde schon in der Römerzeit Wein angebaut. Die Mosel ist dabei das größte Steillagenanbaugebiet der Welt. Hier, zwischen Hunsrück und Eifel, dominieren Schiefer und Riesling (mit fast zwei Dritteln, den Rest teilen sich Müller-Thurgau, Elbling, Pinot Blanc und Pinot Noir). Weinberge in Steillagen machen deutschlandweit mit rund 14.000 Hektar einen Anteil von etwa 14 Prozent an der Gesamtrebfläche aus. 3.500 Hektar entfallen dabei alleine auf das Anbaugebiet Mosel.
Je steiler der Hang, desto mehr Sonne kann er speichern
Die steilen Hänge speichern tagsüber die Wärme der Sonne und geben diese nachts wieder ab. Da reichen die Temperaturen schon mal an die tropischer Zonen heran und das gilt es auszunutzen. Dabei gilt: Je steiler der Hang, desto mehr Sonne kann er tanken. Die Wurzeln der in den Steillagen der Mosel wachsenden Reben dringen bis zu 20 Meter tief in den Boden ein, um sich mit Wasser und Mineralien zu versorgen. Durch die Hanglage existiert eine natürliche Drainage, so dass das nicht direkt vom Boden aufgenommene Wasser abfließen kann; Staunässe ist hier also kein Thema.
Die Hälfte der Moselweinberge liegt auf Schiefer, der oft so feinblättrig ist, dass man ihn mit der Hand durchbrechen kann. Das Gestein ist 400 Millionen Jahre alt. All das macht die Moselweine aus Steillagen so besonders und nicht umsonst nennt man die Rebe ja auch das „Sprachrohr des Bodens“: Aus meist von Hand geernteten Trauben entstehen Rieslinge mit faszinierendem Süße-Säure-Spiel, fein und fruchtig, dabei mineralisch und dank ihres eher niedrigen Alkoholgehalts auch leicht und verträglich.
Ab 30 Prozent Steigung spricht man von Steillage
Doch was genau ist eigentlich eine Steillage? Es geht um die Höhe der Steigung und die muss mehr als 30 Prozent betragen. Bei fünf bis 20 Prozent spricht man von Hanglage, darunter von Flachlage. Kurz ins Gedächtnis gerufen: Nach hundert Metern Strecke ist man 30 Meter weiter oben. 45 Grad Gefälle entsprechen hundert Prozent Hangneigung. An der Mosel findet sich mit dem Calmont zwischen Bremm und Ediger-Eller der steilste Weinberg Europas – an ihm kommt man nun mal nicht vorbei, will man über Steillagen schreiben. Staunend steht man am Fuß dieses 400 Meter hohen Massivs: Dass dort überhaupt Wein geerntet werden kann, denn bei einer Steigung von bis zu 68 Grad – steiler als die Skisprungschanze in Oberstdorf – scheinen die Reben fast senkrecht in den Himmel zu wachsen. Auf dem Calmont-Klettersteig kann man daher eine der schönsten und spannendsten Seiten der Mosel entdecken.
Hier sind Anbau und Lese ungleich anspruchsvoller, sprich arbeitsintensiver. Zeit und Aufwand sind mindestens vier Mal so hoch und in Zahlen stehen hier mindestens 1.000 Stunden pro Hektar 200 bis 300 Stunden in Flach- oder Hanglagen gegenüber. Das Arbeiten in Steillagen ist dabei nicht nur anstrengender, sondern auch gefährlicher. Schlepper können nur bis zu Steigungen von etwa 50 Prozent eingesetzt werden. Doch da einzelne Parzellen durch stützende Trockenmauern voneinander getrennt sind, kommen die Traktoren selten zum Einsatz. Seit Kurzem gibt es zwar Vollernter, die extra für extreme Steigungen konstruiert wurden. Aber aus Qualitätsgründen setzen die Moselwinzer hier meist auf Handarbeit. Jede Parzelle wird so zwei oder sogar drei Mal gelesen. Etwas Erleichterung schaffen Helfer wie Kettenraupen, Seilzüge oder Monorackbahnen.
2000 Jahre alte Weinbautradition schützt auch die Natur
Steillagenweinbau an der Mosel ist also vielfältig. Er bedeutet die Pflege einer über 2000 Jahre alten Weinbautradition und Lage sowie Beschaffenheit der Böden bringen besonders feine Weine hervor. Damit das nicht verlorengeht und die Kulturlandschaft an der Terrassenmosel erhalten bleibt, gibt es Fördermittel von der EU und dem Bund, auch das Land Rheinland-Pfalz hat ein (an der Grad-Zahl ausgerichtetes) Steillagenförderprogramm aufgelegt.
Und noch etwas zeichnet die Steillagen aus. In jahrelangen Forschungen wurden hier zahlreiche Insektenarten gezählt, wodurch gerade diese Lagen zum Hotspot der Artenvielfalt avancieren. Das liegt jedoch weniger an den Reben als vielmehr an den kleinteiligen Strukturen dazwischen, die eine für Bienen & Co. besonders attraktive Vegetation ermöglicht. Auch die Reben selbst kommen hier in beachtlicher Diversität vor: Eine solche genetische Vielfalt sei auch eine wichtige Quelle für die Anpassung klassischer Rebsorten an sich ändernde Anbaubedingungen wie beispielsweise den Klimawandel, lautet ein weiteres Ergebnis der Untersuchungen. In Steillagen fühlen sich übrigens auch Schmetterlinge wohl: Im Klotten-Treiser-Moseltal wurden 58 Tagfalter- und 178 Wildbienenarten gezählt. Der Steillagenweinbau also ein Refugium für gefährdete Insektenarten. Und wenn man so will, ist jede ausgetrunkene Flasche eines hier gewachsenen Weins aktiver Naturschutz. Manchmal kann es so einfach sein.