Weinaromen: Ein Gespräch mit Weinkennern

Weinaromen: Ein Gespräch mit Weinkennern

Der langjährige Chefredakteur von bild der wissenschaft Wolfgang Hess – jetzt im Ruhestand – wohnt in der Weinlandschaft Württembergs und möchte sich über die Aromen des Weins weiterbilden. Karl-Ernst Schmitt, über zwei Jahrzehnte Weinbruderschaftsmeister ist ihm da ein willkommener Gesprächspartner.

In drei Folgen reden die beiden über Weinaromen.

Weingläser stoßen an

Hess: “Wenn im Weinprospekt steht, der Wein schmeckt nach Weichselkirschen oder hat Karamelltöne. Schmecke ich das dann schon heraus, wenn ich eine Beere am Rebstock verkoste?”

Schmitt: Da gibt es einen wunderbaren Ausspruch des spanischen Weinmachers Telmo Rodrigues: „Das Mysterium Wein liegt in der Beerenhaut.“ Wer direkt an der Rebe verkostet, nimmt in erster Linie den Traubensaft war und nicht die Geschmackstöne der Haut. Erst durch Hefen startet eine Vergärung, werden Aromastoffe aus Beerenhaut und Kernen extrahiert. Durch die Vergärung entstehen die Sekundäraromen, wie zum Beispiel die Tannine. Natürlich schmecken Sie beim Genuss von Gewürztraminertrauben die Nelke, den Zimt, die Orangenzeste. Beim Sauvignon Blanc erkennt man etwas Paprika oder riecht den Holunder. Doch die ganze Aromenvielfalt kommt erst nach der Vergärung zum Vorschein.

Hefen werden im Weinkeller stets zugegeben?

Nicht immer. Einmal gibt es die wilden Hefen, die man im Weinberg hat, oder in alten Weinkellern vorfinden kann. Wenn sie die Trauben in einen Gärbottich kippen, sorgen diese Hefen – die auf Beerenhäuten und Stielen haften –sobald Saft austritt für den Beginn der Vergärung. Blicken Sie bei Gelegenheit einmal in Anhänger, in denen Winzer ihre Lese abfahren. Schon nach wenigen Stunden quirlen dort Bläschen nach oben, was ein untrügliches Zeichen von Spontanvergärung ist. Es gibt immer mehr Winzer, die es bei dieser Spontanvergärung belassen und keine weiteren Hefen zusetzen.

Ist das ein Zeichen von Naturbelassenheit?

In gewisser Weise schon. Ziel vieler Winzer ist es, den reinen Traubengeschmack in der Flasche ohne Zutun fremder Hefen zu Konservieren. Sie lassen die Moste oder Maische lediglich auf der wilden Hefe vergären. Dieser Prozess birgt aber Risiken, da der Winzer die Vergärung dabei nur begrenzt beeinflussen kann. Man spricht hier auch gerne vom „kontrollierten Nichtstun“. Das kann so weit gehen, dass die Vergärung sogar abbricht. Um dann noch Wein herzustellen, muss der Winzer mit der Temperatur nachsteuern oder doch noch sogenannte Reinzuchthefe zusetzen. 

Was bevorzugen Sie?

Spontanvergärung bringt für mich die charaktervollsten Weine hervor. Doch der Einsatz von Reinzuchthefen hat seine volle Berechtigung. Ohne Verwendung industriell hergestellter Reinzuchthefen hätten wir in Deutschland und der Welt nicht die Qualitätssteigerung der letzten zwei Jahrzehnte bei den Weinen. Denn erst so wurde es möglich, große Mengen Wein in gleichbleibend guter Qualität herzustellen.

Wir sprachen schon darüber, ab wann man alt genug für eine Weinverkostung ist. Kann man dafür auch zu alt sein? Ältere sehen und hören mitunter schlechter. Trifft das auch für das Geschmacksempfinden zu?

Klar, dass man dem Alter Tribut zollen muss. Ich trinke heute weniger Wein als früher und fast ausschließlich zum Essen. Größere Mengen vertrage ich auch nicht mehr. Verkostungen mit 20 oder mehr Weinen setzen mir zu. Doch den Geschmack meine ich immer noch umfassend zu erkennen.

Und wie steht es mit dem Geschmacksempfingen bei älteren Kollegen?

Darüber äußert man sich eher nicht …

Ich habe gelernt, dass man bei Verkostungen beim Winzer Weine ausspuckt und in einem speziellen Napf entsorgt.

Das ist für mich eine Unsitte. Dann lasse ich mir eben weniger einschenken. Ein Erlebnis hat mich in dieser Hinsicht geprägt. Wir waren bei einem berühmten Weingut in der Wachau zu Gast. Weinjournalisten waren auch dabei. Sie hatten nach einem Schluck den Wein stets in den Kübel gespuckt. Das hat sich die Chefin des Hauses zehn Minuten lang angeschaut, dann sagte sie: „Unser Wein ist zu wertvoll, dass er ausgespuckt wird. Wenn sie nicht so viel trinken wollen, kann ich ihnen weniger geben.“ Anders sieht es bei einer groß angelegten Weinverkostung aus, bei der bis zu 50 Weine getestet werden sollen. So viel Wein verträgt niemand.

Ich trinke lieber Rot- als Weißweine, Rosé eher gar nicht. Weißweine führen bei mir zu einer inneren Unruhe, Rotwein erzeugt in mir dagegen in eine angenehme Welle. Wie würden Sie mich typisieren, Herr Schmitt?

Für Sie gilt der Spruch von Wilhelm Busch: „Rotwein ist für alte Knaben, eine von den besten Gaben.“ Das ist nicht nur gut, weil es sich reimt, sondern da ist wirklich etwas dran. Weißweine haben nicht nur mehr Säure, sondern haben auch mehr starke kräuterige Aromen und wirken straffer. Es ist wohl so, dass ihr Körper auf die Weißweinstrukturen negativ reagiert. Die Rotweinaromen sind weicher, die Tannine und die balsamischen Noten sind weicher. Die Tannine des Rotweins bauen sich stärker ab als die Primäraromen des Weißwein. Deshalb empfinden wir den Rotwein oft als gefälliger, also runder. Dabei kann ein Rotwein genau so viel Säure haben wie ein Weißwein. Doch die Säure ist beim Roten im Tannin-Aromagerüst besser eingebaut. Das ist der Grund wenn Rotwein gerade bei Älteren als angenehmer und bekömmlicher empfunden wird. Meine Weinvorlieben hängen von der Jahreszeit ab. Im Sommer trinke ich keine schweren Rotweine, sondern weiße spritzige Weine.

Ich habe beim Spätburgunder im vergangenen Jahrzehnt eine wundersame persönliche Geschmacksveränderung erlebt. Früher mochte ich die halbtrockenen badischen Spätburgunder, seit einigen Jahren trinke ich nur noch Spätburgunder, die sich geschmacklich am Burgund orientieren, wo diese Rebe Pinot noir heißt. Zu Anfang schmeckte mir diese Nuancierung aber nicht. Wodurch entsteht eine solche Veränderung?

Ihr Gaumen, ihr Riechen hat sich auf diesen Wein eingeschossen und sagt ihnen inzwischen: Das ist für mich der angenehmste Wein. Das kann eine Frage der Gewöhnung sein. Oft kommt es auch auf die Weinkonsistenz an. Ein Barolo, ein Brunello haben teerige oder balsamische Noten, die viele nicht mögen. Bei ihnen hat sich die Sensorik offenbar auf diesen Burgundertyp eingeschworen.

Zum Aroma gehört auch der Alkohol, der als Geschmacksträger wirkt. Was halten Sie von Weinen, die mehr als 14 Volumenprozent Alkohol enthalten? Was von Weinen, die alkoholfrei angeboten werden?

Alkohol ist wie Fett ein Geschmacksträger. Die fettreduzierte Wurst und der alkoholreduzierte Wein sind bei einer gewissen Klientel ein Thema. Zudem ist der tägliche Genuss von Alkohol aus medizinischer Sicht fragwürdig. Ich persönlich möchte Wein genießen und Geschmack daran finden. Einen trockenen Wein mit weniger als 10 Prozent Alkohol kann ich zum Essen nicht genießen, ebenso wenig einen, der mehr als 15 Prozent hat. Solche Weine tanzen nicht mehr auf der Zunge, sondern sie sind oft brandig, machen satt und nehmen die Lust auf ein zweites Glas. 

Wie soll man es mit gängigen Weinempfehlungen halten – also etwa Weißwein zu Fisch und schweren Rotwein zu Rouladen?

Man spricht heute viel vom Foodpairing. Das heißt nichts anderes als welches Getränk zu welchem Essen passt. In 90 Prozent der Fälle hat so etwas sicher seine Berechtigung.  Etwa zum weißen Spargel nicht den trockensten Riesling zu nehmen, sondern vielleicht einen fruchtigen Silvaner oder einen weißen Burgunder. Wesentlicher ist für mich allerdings, was dem Gast am besten mundet. Die generelle Empfehlung Weißwein zu Fisch ist Unsinn. Wer Weißwein so wenig liebt wie Sie, sollte doch lieber einen leichten Rotwein zu Fisch nehmen. Klar ist: Alle Empfehlungen – auch die von gut ausgebildeten Sommeliers – sind subjektiv eingefärbt. Wenn er dem Gast vorhalten würde: „aber das passt ja nicht“ wäre das für mich ungehörig. 

Lesen Sie hier Teil 1 und 2:

Weinaromen: Interview mit Wolfgang Hess und Karl-Ernst Schmitt (Teil 1)

 

Weinaromen: Gespräch mit Wolfgang Hess und Karl-Ernst Schmitt (Teil 2)