Weinaromen: Gespräch mit Wolfgang Hess und Karl-Ernst Schmitt (Teil 2)

Weinaromen: Gespräch mit Wolfgang Hess und Karl-Ernst Schmitt (Teil 2)

Wolfgang Hess wohnt in der Weinlandschaft Württembergs und möchte sich über die Aromen des Weins weiterbilden. Karl-Ernst Schmitt, über zwei Jahrzehnte Weinbruderschaftsmeister ist ihm da ein willkommener Gesprächspartner.

In drei Folgen reden die beiden über Weinaromen.

Weinflaschen

Hess: “Wie ist ein Winzerbesuch ihrer Weinbruderschaft strukturiert?”

Schmitt: Wir wollen nicht nur Wein gemeinsam trinken, sondern auch wissen, was wir trinken. Wo kommt der Wein her? Welche Vorlieben hat der Winzer im An- und Ausbau? Natürlich interessieren wir uns auch für die Sorte. Wenn wir den Wein verkosten, achten wir auf unsere sensorischen Wahrnehmungen Sehen, Riechen, Schmecken. Anschließend diskutieren wir im Plenum die einzelnen Meinungen. Die Eindrücke der Weinbrüder und -schwestern decken sich beileibe nicht immer.

Gehen die Meinungen oft auseinander?

In der Weinbauschule in Weinsberg war ich viele Jahre lang sensorischer Prüfer beispielsweise für den Trollinger. Da hat jeder von uns in Fünfergruppen Agierenden an einem Nachmittag oft 60 Weine verkostet und bewertet. Die persönlichen Eindrücke waren hier manchmal auch unterschiedlich.

Nach welchem System werden die Weine bewertet?

Es gibt Punkte. Grundsätzlich unterscheidet man drei Varianten: die 5 Punkte-Abstufung sowie die 20 Punkte-Abstufung. Bei Weinjournalen und renommierten Weintestern hat sich die 100 Punkte-Abstufung bewährt, wobei weniger als 80 Punkte hier eine mindere Qualität signalisieren. Das Testergebnis ist in der Regel ein Mittelwert der Einzeltester. 

Manche Weine werden über Jahre immer besser Experten prognostizieren solchen Produkten schon nach einer ersten Verkostung zwei Jahre nach der Abfüllung eine glänzende Zukunft. Wie kann man die Qualität eines Weines 2 Jahre nach der Lese beschreiben, der erst nach 10 oder 15 Jahren trinkreif ist? 

Sommeliers und Weintester sollten das Alterungspotenzial eines Weines erkennen. Das machen sie durch das Wissen und die Erfahrung, die den Vergleich zu anderen Jahrgängen ermöglichen. 

Was sind heute große Fragen hinsichtlich Aromen und Geschmack in der Weinkunde?

Es gibt meiner Meinung nach in diesem Bereich zwei große weiße Flecken in der

Weinwissenschaft. Zum einen die Frage der Bildung von Aromen in der Rebe. Warum besitzt ein auf Vulkangestein gewachsener Riesling beispielsweise eine deutlich andere Aromenstruktur als ein Riesling vom Lehmboden? Welche Einflussfaktoren wirken auf die Primäraromen der Trauben aus unterschiedlichem Terroir, wie Boden, Klima, Anbau? Die Önologie hat bis heute meines Wissens noch keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse hierüber vorliegen. Man vermutet, dass unterschiedliche Hefestämme oder Bodenbakterien dafür verantwortlich sind. Zurzeit wird intensiv darüber geforscht. 

Und der zweite weiße Fleck …

… ist die optimale Reife des Weins. Die sogenannte tertiäre Aromenbildung beschreibt die Veränderung der Aromen bei der Lagerung in der Flasche. Da man diese Frage wissenschaftlich noch nicht eindeutig beantworten kann, spielt auch hier die Erfahrung der Weintester eine wichtige Rolle. 

Warum entwickelt sich ein Wein noch in der Flasche? Glas ist inert und reagiert nicht mit anderen Medien.

Es ist ein Unterschied, ob ein Wein gefiltert oder ungefiltert in die Flasche kommt. Ungefiltert heißt: da sind noch Kleinstpartikel von Schalen und Kernen drin. Dadurch werden bei Rotweinen Tannine in der Flasche deponiert. Die Ausfällung dieser Kleinstrückstände zeigt sich beim Rotwein als dunkles Depot in der Flasche. Die Bildung von kristallinem Weinstein bei Weißweinen ist das Ergebnis des Abbaus der Weinsäure.  Diese Depots sind Kennzeichen dafür, dass die Weine reifer – wenn Sie so wollen, gefälliger geworden sind. Im Lauf der Jahre bekommt der Wein mehr Umami, also angenehmes Mundgefühl  

Was raten Sie privaten Genießerinnen und Genießer?

Bei wertigen Weinen empfehle ich immer den Kauf von mehreren Flaschen. Alle zwei oder drei Jahre sollte man dann eine Flasche öffnen und aufschreiben, was man beim Weingenuss empfunden hat: Wie war das Säureempfinden, wie die Tannine, die Fruchtigkeit oder das Mundgefühl? Auf diese Weise kann jeder für sich dokumentieren, wie sich ein Wein in der Flasche verändert. Eine persönliche Empfehlung: Man sollte einem hochwertigen Wein die Zeit geben, in Ruhe reifen zu können. Manche guten Weine sind jung getrunken kein großer Genuss und brauchen einfach eine jahrelange Lagerung für ihre Genussreife.

Welche Randbedingungen sollte man sich schaffen, um einen guten Wein qualitativ zu bewerten?

Man sollte sich darauf vorbereiten und eine Verkostung möglichst nicht im Anschluss an einen hektischen Tagesverlauf angehen. Ich meine sogar, dass man Erfahrung im Umgang mit Wein dafür braucht. Man sollte aus der Spezi- und Spritzzeit rausgewachsen sein.

Welches Erlebnis verbinden Sie mit solcherlei Verkostungen?

Vor Jahren hatte ich das Glück, aus einer Kellerauflösung mehrere Flaschen eines 83er Château Palmer erwerben zu können. Vor wenigen Monaten haben wir bei einer Einladung mit Weinfreunden meine letzte Flasche dieses 83er verkostet. Ich sage ihnen: Das war einer der größten Weine, die ich je getrunken habe – diese Weichheit, dieser Beerenstrauß, feinste Tannine. Das Mysterium der Flaschenreife ist für mich das größte Erlebnis! Damit ein Wein so umfassend in der Flasche Tertiäraromen entwickeln kann, muss er gut gelagert werden – nicht zu warm, nicht zu kalt, nicht zu hell, die Kellerfeuchte muss stimmen. Und der Verschluss muss in Ordnung sein

Sie meinen damit den Korken?

Wenn Sie einen großen Wein mit einem Schraubverschluss versehen, würde der nach Jahren noch genauso schmecken wie bei der Abfüllung. Der Austausch mit der Umgebungsluft über den Korken ist für die Flaschenreife elementar. 

Sie sind ein Gegner von Schraubverschlüssen?

Nein, das bin ich nicht. Der Schraubverschluss hat seine Berechtigung für Weine, die über fünf, sechs Jahre frisch bleiben sollen.  Wie sich Weine unter Schraubverschluss über Jahrzehnte verhalten, weiß man noch nicht. 

Das heißt: Bei großen Weinen bleibt der Schraubverschluss ein no go?

Einmal des Image wegen und – wie schon gesagt – wegen der Reife der Weine in der Flasche. Ich weiß nicht einmal, ob der Schraubverschluss im Bordelais zulässig ist. Spanier und Portugiesen dürfen Wein nur begrenzt unter Schraubverschluss abfüllen, Italiener nur minimalst für den Export. Bei den Châteaux im Bordeaux wäre ein Schraubverschluss ein Signal von Minderwertigkeit, ein Sakrileg.

Lesen Sie hier Teil 1 und 3:

Weinaromen: Interview mit Wolfgang Hess und Karl-Ernst Schmitt (Teil 1)

 

Weinaromen: Interview mit Wolfgang Hess und Karl-Ernst Schmitt (Teil 3)