Weingespräche: Die Auswirkungen des Klimawandels

Weingespräche: Die Auswirkungen des Klimawandels

Wolfgang Hess befragt im zweiten Teil des Fachgesprächs über das Terroir den Ehrenbruderschaftsmeister der Weinbruderschaft Heilbronn Karl-Ernst Schmitt über die Auswirkungen des Klimawandels beim Anbau von gehobenen Weinqualitäten.

Rotweintrauben an der Rebe im Fokus mit einigen Weinblättern

Wolfgang Hess: Wie wird der allgegenwärtige Klimawandel das Terroir verändern? Wird es neue Weinbauterritorien, neue Terroirs, geben?

Ernst-Karl Schmitt: Klima ist eine wesentliche Komponente. Das Terroir wirkt sich dann am stärksten auf die Weinqualität aus, wenn die Ausreifung langsam vor sich geht – idealerweise bis in den Spätherbst. Dann vollzieht sich die Aromabildung in den Trauben allmählich. Weiterhin ist es essenziell, dass die Nachttemperaturen kühl sind, um so eine harmonische Säure im Lesegut zu behalten. Leider erleben wir heute oft das Gegenteil: Geerntet wird in den letzten Jahren immer früher.

Warum?

Weil die Sommerwärme intensiver ist und über längere Perioden kein Regen fällt, dadurch bildet sich viel Zucker in den Trauben, die Trauben werden früher reif. Doch ein harmonisches Frucht- Säureverhältnis gerät immer häufiger aus dem Gleichgewicht.

Wie wäre gegenzusteuern?

Weinbau etwa dorthin auszuweiten, wo es kühler ist – also in nördlichere Regionen. In Dänemark und Schweden wird mittlerweile Wein angebaut. Eine andere Möglichkeit ist, Reben – soweit das möglich ist – in höher liegenden Regionen anzubauen.

Beispielsweise werden heute in Südtirol in 800 bis 1000 Meter Meereshöhe Rieslinge angebaut. Das ist inzwischen erlaubt. Hätte ein Weinbauer dort vor 30 Jahren Riesling anbauen wollen, wäre das wahrscheinlich nicht genehmigt worden.

Welche klimatischen Randbedingungen braucht es, um einer Rebe ihr Entwicklungspotenzial zu ermöglichen?

Das ist von Rebsorte zu Rebsorte unterschiedlich. Bei den meisten heimischen Rebsorten lautet die Faustformel: Nach der Blüte dauert es durchschnittlich 100 Tage bis mit einer normalen Ausreifung geerntet werden kann. Das ist im Normalfall Ende September der Fall. Für Weine der Große Lage reicht das nicht. Um die Aromabildung zu fördern, erntet man hier bis weit in den Oktober hinein.

Welche Möglichkeiten gibt es außerdem, den negativen Folgen des Klimawandels zu begegnen?

Der Mensch kann gegensteuern, wenn er die Sonneneinstrahlung auf die Rebstöcke durch entsprechende Laubarbeit beeinflusst, indem er etwa eine Laubwand an den Rebstöcken nicht so stark entblättert und so die direkte Sonneneinstrahlung auf die Trauben verringert. Damit sich die Rebstöcke gegenseitig Schatten spenden, kann man auch die Stockdichte erhöhen. Überdies sollten Neuzüchtungen angestrebt werden. Neue Rebsorten sind künftig nur dann langfristig erfolgversprechend, wenn sie höhere Temperaturen aus- und längeren Trockenperioden standhalten.

Haben wir die Zeit dafür?

Eigentlich nicht. Die neuen oder modifizierten Rebsorten sollten im kommenden Jahrzehnt zur Verfügung stehen.

Registrieren Sie bei ihren Gesprächen rund um den Wein Generationenunterschiede bei jüngeren und älteren Winzerinnen und Winzern?

Ich bemerke in Gesprächen, besonders mit der jüngeren Generation der Selbstvermarkter, dass diese Personen weit mehr als die Generation davor sowohl das Terroir als auch die Veränderungen im Blickfeld haben, die Klimawandel oder Absatzmärkte mit sich bringem.

Ich möchte da nur einige Beispiele nennen: Die Fokussierung auf die Weinqualität sowie auf die Beschreibung des jeweiligen Terroirs, aus dem die Weine stammen. Diese Winzerinnen und Winzer weisen oft bewusst auf die sich daraus ergebenden, individuellen Charaktere und Unterschiede der Weine hin. Des Weiteren lenken sie häufig die Aufmerksamkeit auf die Ressourcen schonenden An- und Ausbaumethoden sowie die Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels in ihren Terroirs. Und sie nutzen den Begriff Terroir gezielt als Marketinginstrument. Mit der Regionalität lässt sich derzeit gut punkten.

Was zeichnet das Terroir von herausragenden Weinen aus?

Bestimmte Bedingungen sind so typisch für bestimmte Lagen, dass der an dieser Stelle wachsende Wein unverkennbar wird. Der fränkische Riesling, zum Beispiel ein Escherndorfer Lump wächst auf Gesteinen des Muschelkalks und unterscheidet sich markant von einem Pfalz-Riesling aus der Lage Königsbacher Idig, der auf Kalkmergel gedeiht. Ein Riesling aus der Lage Kiedricher Gräfenberg aus dem Rheingau, der auf kargen Phyllit-Gesteinsböden wächst, unterscheidet sich deutlich vom Riesling Forster Pechstein auf Vulkangestein. Weine dieser Lagen sind unverwechselbar – ganz gleich wie sie im Weinkeller ausgebaut wurden.

Sie trauen sich zu, bei einer Blindverkostung solche Lagen herauszuschmecken?

Man kann bestimmte Geschmacksempfindungen und Aromen im Gehirn ähnlich abspeichern wie Wörter. Das habe ich bei mir selbst registriert. Wenn man dann bei einer Blindverkostung ein bestimmtes Aroma wahrnimmt, fällt mir immer wieder ein, um welchen Wein aus welcher Lage es sich handelt.

An welches große Erlebnis im Hinblick auf Terroirs erinnern Sie sich besonders?

An einen Besuch der Côte de Nuits im Burgund. Dort gibt es einen Ort namens Vosne-Romanée. Aus diesem Ort führt eine kleine Straße nach Norden in die Weinberge. Rechts dieser Straße liegen die berühmten Weinberge der Lage Romanée Conti. Dort wächst ein Premier-Grand-Cru, der pro Flasche mehrere tausend Euro kosten kann. Links der Straße, nur 20 Meter entfernt, liegt die Premier Cru-Lage La Grande Rue des Gaudichons. Dieser Wein kostet nur ein Zehntel eines Romanée Conti. Da stellt sich doch jedermann die Frage, ob links der Straße ein anderes Terroir vorherrscht als rechts. Doch so wurde das schon vor etwa 100 Jahren bei der Einführung der Appellation Controlée festgelegt.

Vielleicht sollte man die Klassifizierung unter heutigen Gesichtspunkten hinterfragen. Das Mikroklima zumindest hat sich inzwischen geändert.

Das hat man im Médoc – in der Region um Bordeaux – bereits 1955 gemacht, hundert Jahre nach der Erstklassifizierung von 1855. Doch auch nach dem Relaunch wurde die alte Klassifizierung weitgehend beibehalten.

Welche persönliche Botschaft verbindet sich bei Karl-Ernst Schmitt mit dem Begriff Terroir?

Terroir ist das Gegenteil zur Beliebigkeit – wenn Sie so wollen, zur Coca Cola-isierung im Weinbau. Die unterschiedlichen, naturgegebenen Ausprägungen eines Terroirs formen die Vielfalt und den individuellen, unverwechselbaren Charakter der Weine.