Als, im wahrsten Sinne des Wortes, abgehobenstes Beispiel gilt der Bremmer Calmont an der Mosel. Er ist der steilste Weinberg Europas mit einer Hangneigung von bis zu 65 Grad. Hier ist kein Platz für Vollernter-Maschinen, die im Herbst die reifen Trauben pflücken. Die muss man schon eigenhändig in kleine Kisten legen. Nur zum Transport in die Weinkeller benutzen die dort arbeitenden Winzer die so genannte Monorack-Bahn, eine kleine, niedrige Zahnradbahn, die sich manchmal fast senkrecht über die Terrassenmauern quält.

Doch nicht nur die Rebstockarbeiten sind in solchen Steillagen Fleißarbeit. Eine Herausforderung an die Muskulatur ist auch die Instandsetzung der Trockenmauern, die ohne Verwendung von Mörtel aus Natursteinen aufgeschichtet werden, um eine optimale Wasserdurchlässigkeit zu gewährleisten und Land unter im Weinberg zu vermeiden. Durch das Errichten solcher Mauern an steilen Hangabschnitten und durch den Aufbau von Terrassen lassen sich außerdem die zum Weinanbau nutzbaren Flächen vergrößern. Ein weiterer Nutzen: Die Steine strahlen die tagsüber aufgenommene Sonnenwärme nachts wieder ab und verhindern so eine zu große Auskühlung der Rebstöcke, vor allem beim Austrieb und im Spätherbst.

Ein überzeugter Fan von der Arbeit in Steillagen ist zum Beispiel Reinhard Löwenstein vom Weingut Heymann-Löwenstein in Winningen. "Manche Terrassenweinberge überwinden 140 Meter Höhe, es ist ein Bergsteigen, ein unter, im oder über dem Nebel arbeiten, immer wieder eine andere Aussicht genießen." Auch die fränkische Winzerin Ilonka Scheuring schwört auf Weinberge, die diesen Namen wirklich verdienen. Etwa die Lage Stettener Stein, wo Scheurings Silvaner von über 50 Jahre alten Rebstöcken auf Böden mit mehr als 50 Prozent Hangneigung wachsen. Der Anblick fasziniert immer wieder Touristen. Daher erhielt die Lage vom Deutschen Weininstitut die Auszeichnung "Frankens Schönste Weinsicht 2020". Von einer drei Meter hohen Stele inmitten der Weinlage, wo man sich wie in einem Amphitheater fühlt, bietet sich ein herrlicher Panoramablick über den Main bis nach Würzburg.

Was landschaftlich so beeindruckend aussieht, ist das Ergebnis aufwändiger, schweißtreibender Arbeit. Der Zeitaufwand ist je nach Lage bis zu fünf Mal höher als in flachen Gebieten. Doch lassen sich diese Weine nicht immer entsprechend teurer verkaufen. Kein Wunder, dass es mancherorts einen Rückgang des Weinbaus in Steil- und Terrassenlagen gab und gibt. Doch vor allem jüngere Winzerinnen und Winzer sowie einige renommierte Betriebe haben sich den Erhalt dieser rebenbewachsenen Steilhänge auf die Fahne geschrieben. Darunter Robert Haller, Weingutsdirektor beim Bürgerspital Weingut in Würzburg, der sich selbst als „Steillagen-Terroirist“ bezeichnet. "Vor allem steile und karge Weinberge bringen besondere, qualitätsbeständigere Weine hervor, was sie etwa von Mainstream-Weinen unterscheidet." Am besten, Sie besuchen selbst einmal Regionen mit steilen Weinbergen. Vielleicht den Homburger Kallmuth, ein eindrucksvoller Kalksteinfelsen in Franken, der bereits im 12. Jahrhundert für den Weinanbau genutzt wurde und sich zu einem Touristenmagneten entwickelt hat. Schon Goethe lobte die Weine des Kallmuths. Und wir von selection freuen uns schon auf die Verkostung von Weinen aus Steil- und Steillagen im Herbst.