Weinaromen: Ein Gespräch mit Weinkennern

Weinaromen: Ein Gespräch mit Weinkennern

Der langjährige Chefredakteur von bild der wissenschaft Wolfgang Hess – jetzt im Ruhestand – wohnt in der Weinlandschaft Württembergs und möchte sich über die Weinaromen weiterbilden. Karl-Ernst Schmitt, über zwei Jahrzehnte Weinbruderschaftsmeister ist ihm da ein willkommener Interviewpartner.

In drei Folgen reden die beiden über Weinaromen.

Aussicht auf die Steillage des Weinberges
Steillage eines Weinberges / Foto: Team-Werk Esslingen

Hess: „Die saftigen Kirscharomen werden flankiert von feiner Kräuterwürze, am Gaumen kommen Karamell- und Schokoladennoten hinzu“, heißt es in einer Verkaufsbroschüre. Tatsächlich geht es hier um einen Primitivo aus Salento in Apulien. Wer erstellt so wortgewaltige Weinbeschreibungen?

Schmitt: Das sind Weintester oder Experten aus dem Weinhandel, aber auch aus der Weinproduktion, wie Kellermeister, die durch ihre langjährige Erfahrung Aromen herausschmecken, die normalen Weintrinkern vielleicht entgehen. Solche Beschreibungen haben viel damit zu tun, dass wir Wein mit drei Sinnesorganen erfassen: Augen, Gaumen, Nase. Wir sehen die Farbe des Weines und assoziieren da etwas. Wir schmecken im Gaumen süß, sauer, salzig, bitter und Umami – das angenehme Mundgefühl. Die Nase ist das dabei das wichtigste Organ zur Erfassung von Weinaromen. Ohne sie nehmen wir keine Aromen wahr, der Gaumen kann das nicht. Wer sich beim Weintrinken die Nase zuhält, schmeckt wenig. Geschmackseindrücke, wie die von ihnen zitierten, verfestigen sich bei Weintestern und Sommeliers im Laufe der Zeit. Ein durch das Riechorgan geschultes Gehirn ist in der Lage, die Geschmacksnuancen abzuspeichern und wiederzuerkennen.

Wenn ich Karamell und Schokolade nicht mag, weiß ich damit schon durch den Weinprospekt, dass mir der oben beschriebene Primitivo nicht schmeckt?

Richtig. Wein ist Emotion und Genuss. Wenn das nicht hochkommt, lassen Sie es lieber. So haben Tannin-Töne im Rotwein, also die Gerbstoffe, Befürworter und Ablehner. Wem Tannine nicht munden, dem braucht man einen Barolo nicht zu servieren – selbst wenn da die Flasche 400 Euro kostet.

Kann man als gelegentlicher Weinverkoster durch Training seiner Sinne es schaffen, Weine ähnlich präzise zu beschreiben wie das Profis machen?

Man kann das antrainieren. Wenn ich beim Weinhändler oder noch besser im Weingut Wein kaufen möchte, dann beschäftige ich mich schon vorher mit dem, was auf mich zukommen könnte. Ich konzentriere mich auf die zu erwartende Farbe, den Geruch sowie den Geschmack im Gaumen. Achten Sie doch künftig darauf, ob Sie Geschmacksnoten wie Pflaume oder Cassis selbst herausschmecken, wenn ein Wein so charakterisiert ist. Üben Sie das. Jeder der normal empfindende Geschmacksorgane hat, kann sich das aneignen.

Was empfehlen Sie als Übung?

Essen Sie einmal bewusst schwarze Johannisbeeren, am besten direkt vom Strauch. Kauen Sie dabei auch auf den Kernen, lassen das Ganze eine Minute im Mund und versuchen dann, sich dieses Aroma einzuprägen. Sie werden eine Cassis-Note bemerken, Cassis ist der französische Name für diese Früchte. Wenn sie am gleichen Tag einen Spätburgunder oder einen Cabernet Sauvignon    trinken, werden Sie dieses Aroma wiedererkennen. Ähnlich ist es bei Erdbeeren. Deren Aromen werden Sie im württembergischen Trollinger wiedererkennen, obwohl die beiden Pflanzenarten genetisch wenig miteinander zu tun haben.  

Heißt das, sensorische Erfahrungen werden im Gehirn ähnlich abgespeichert wie Wörter und Grammatik einer Sprache?

Ich gehe davon aus, dass dem so ist.

Bei einem anstehenden Kauf etwa von Spätburgundern versuchen Sie sich in der Vorbereitung zu erinnern, welche Attribute zu dieser Weinsorte bei ihnen im Gehirn abgespeichert sind?

Auch wenn der Spätburgunder in Württemberg etwas anders schmeckt als der Pinot Noir im Burgund ist die Struktur genetisch gleich. So wie sie verschiedene Apfelsorten geschmacklich unterscheiden können, ganz gleich wo die Sorten herkommen, können Sie das auch mit der Weinbeere. Ich versuche dann alles aus meinem Gedächtnis herauszuholen, was ich dort abgespeichert habe. Das geht so weit, dass ich Geschmacksnuancen unterschiedlicher Jahrgänge abspeichern kann. Wer sich ein bisschen auf den bevorstehenden Weingenuss vorbereitet, hat mehr von der Verkostung.

Wer Schnupfen hat oder sonst eine Erkrankung der Atemwegsorgane sollte demnach eine Weinprobe links liegenlassen?

Ja. Wer auch sonst kaum Geschmacksnuancen wahrnimmt, ist sicher nicht der ideale Weinverkoster. Das beim Rindfleischgenuss nicht anders: Wem es egal ist, ob das Fleisch Dry Aged Beef mit zarten Aromen ist oder ein einfacher Gulasch, hat nicht das feine Gespür.

Sehe ich das richtig, dass Weine heute häufiger wortreich mit analogen Geschmacksrichtungen aus dem Pflanzenreich beschrieben werden als vor einigen Jahrzehnten?

Die Weinwerbung setzt heute stärker auf Emotion als früher. Schauen sie sich nur einmal die aufwendig produzierten Weinprospekte angesehener Hersteller an.

Können Sie sich vorstellen, dass man eines Tages die Weincharakteristik nach ganz anderen Gesichtspunkten vornimmt als derzeit?

Sensorisch nicht, weil Wein immer etwas mit Sensorik zu tun hat. Wenn Sie 

einen Wein kaufen, können Sie aber dort oft eine Weinexpertise schriftlich bekommen. Machen Sie die Probe und fragen beim nächsten Kauf in einem Weinfachhandel nach der Expertise. Dort sind die Merkmale des Weins beschrieben: Alkoholgehalt, Restzucker, Säure, Angaben zum Anbau, Geschmacksstruktur und so weiter.

Warum steht davon so wenig auf dem Etikett?

Das Weingesetz schreibt bereits eine Reihe von Pflichtangaben auf dem Etikett vor, unter anderem: Weinbezeichnung und Qualitätsstufe, Nennfüllmenge, Alkoholgehalt, Abfüller, amtliche Prüfnummer, geographische Angaben. Was auf einem Weinetikett stehen soll, ist in der Weinwirtschaft eine ständige Diskussion. Die Weinwirtschaft meint, dass weniger mehr ist und der normale Weintrinker überfordert wäre, wenn das Etikett auch noch über Restzucker, Säure, Länge der Maischegärung oder Hefen informieren würde. 

Die Weinbruderschaft Heilbronn e.V.

besteht seit 1991. Sie hat aktuell 46 Mitglieder, etwa ein Drittel sind Frauen. Höchstens 50 Prozent der Mitglieder dürfen Winzer und andere dem Wein beruflich nahestehende Personen sein. Wer Mitglied werden will, muss Interesse und Lernbegierde für Wein mitbringen. Karl-Ernst Schmitt ist Gründungsmitglied und war dort von 1998 bis 2020 Bruderschaftsmeister (1.Vorsitzender) und ist jetzt Ehrenbruderschaftsmeister.