Kreuzfahrt: Mit dem Schiff zum Mosel-Riesling
Bei der Einfahrt in die Mosel ist Kapitän Teunis van Dijk hochkonzentriert.
Kein Wunder, denn von hinten schiebt die Strömung des Rheins. Und von vorne nähert sich ein Frachter. Da muss die Maschine mächtig arbeiten, um das 110 Meter lange Schiff um die Kurve zu drücken. Ganz behutsam dreht die „NickoSpirit“ nach Backbord. Am Heck gischtet das Wasser. Langsam gleitet das Schiff am Deutschen Eck bei Koblenz vorbei. Nun geht es in die viel dunkler aussehende Mosel, der Heimat des Riesling. Dort wartet die nächste Herausforderung auf die nautische Besatzung: Die 11,60 Meter schmale Schleuse, in die die Crew das 11,40 Meter breite Schiff bugsieren muss.
Auf den Spuren des Riesling
Die Mosel ist das eigentliche Fahrgebiet dieser Weinreise, die Nicko, unterstützt durch den Partner „Falstaff“, ansteuert. Start und Ziel der Reise sind Frankfurt, doch der Rhein spielt diesmal eher eine Nebenrolle, der Main wird lediglich als Zubringer genutzt. Hauptdarsteller auf dieser Fahrt wird der Mosel-Riesling sein. 140 Passagiere sind an Bord des 2020 fertiggestellten Neubaus „NickoSpirit“, der – coronabedingt – bisher kaum unterwegs war. Nun also kurvt das mit seinem verglasten Bug futuristisch anmutende Schiff die Mosel stromaufwärts, durch zahlreiche Schleusen bis nach Luxemburg. Anschließend geht es die Strecke wieder retour.
Steile Weinberge
Steil ziehen sich rechts und links die Weinberge empor, oft unterbrochen durch schmale Stahlträger. Auf denen transportieren die Winzer mit sogenannten Monorackbahnen Material und oft auch sich selbst nach oben – ein abenteuerliches Unterfangen, das hier und da auch Urlauber buchen können.
Schöner aber ist es, diese wunderbare Weinkulturlandschaft zu durchwandern, die so typisch deutsch wirkt und dabei zugleich fast mediterrane Züge annimmt: Oregano wächst hier, Lavendel und Thymian, in den grob gemauerten Steinwänden verstecken sich Eidechsen, die sich tagsüber scheinbar träge in der Sonne aalen. Und mit viel Glück sieht der Wanderer einen Apollofalter, der mittlerweile als typisch für die Region gilt.
Mosel-Riesling – ein Genuss
Nach einem Spaziergang in der Höhe lohnt es sich, im Tal einzukehren. Denn wie der Literat Ernst Jünger schon wusste: „Nichts macht mit einer Landschaft vertrauter, als der Genuss ihrer Weine.“ Auf den Karten steht – natürlich – allen voran Mosel-Riesling.
Mit Genuss kennt sich auch Michael Hambrech aus, Eigentümer einer gleichnamigen Schnapsbrennerei in Karden. Er sagt: „Man kann nur Gutes destillieren, wenn man Gutes brennt.“ Und das sei am besten überreifes Obst, das viel Zucker und viele Aromen aufweise. Daraus macht Hambrech dann Apfel-Brand und Mirabellen-Wasser, aber auch Moselhefe und Moseltrester (mit jeweils 40 Prozent Alkoholgehalt) – schließlich ist auch Karden umgeben von Weinreben.
Bierbrauer als Winzer
Während Hambrech einen traditionellen Familienbetrieb führt, war Roman Niedwodniczanski Quereinsteiger: Sein Erbe aus der Bierbrauer-Dynastie Bitburger hat er vor einigen Jahren in das Weingut Van Volxem investiert, es restauriert und schließlich einen Neubau über der Saar errichten lassen. Dieser ist mittlerweile Blickfang und Publikumsmagnet und bringt ausgezeichnete Saar-Rieslinge hervor.
Vom „Blättermanagement“ spricht denn auch Van-Volxem-Mitarbeiter Christian Reichart, schwärmt von den Fässern aus eigenen Eichen, die ein österreichisches Unternehmen anfertigt und auf das man schon mal zehn Jahre warten muss, weil, wie es heißt: „Winzer und Sommeliers wissen: die besten Fässer kommen aus Waidhofen an der Ybbs, produziert von Familie Stockinger.“
Holz und Wein
In die ovalen Holzbehälter kommen dann drei Jahre erst unempfindliche Weißburgunder, bevor sie bereit sind für die sensiblen Rieslinge, die während der Lagerung eine zarte, kaum spürbare Karamell-Note annehmen, die gut zu der fruchtigen, mineralischen Frische der Rieslinge passt.
Önologische Kleinodien
Und schon dreht die „NickoSpirit“ um, der Bug schon über der Uferböschung, das Heck nur einen Sprung vom anderen Ufer entfernt. Schließlich gilt es weitere önologische Kleinodien rechts und links der Mosel zu entdecken. Da ist zum Beispiel das kleine Weingut Karp-Schreiber, in dem der junge Eigentümer Jobst Karp ganze acht Hektar bewirtschaftet, 70 Prozent davon natürlich Mosel-Riesling. Der hat das Image des lieblichen Alt-Damen-Getränks aus den 80er-Jahren längst abgelegt und ist mittlerweile weltweit begehrt. Mit Weinen wie „crazy karp“ (Rosé secco), „dry karp“ (Riesling, trocken) und „my karp“ (Riesling, feinherb) punktet Karp auch bei den Verkostern. So wurde er vom „Feinschmecker“ 2021 unter „die besten Weingüter in Deutschland“ gewählt.
Im idyllischen Bernkastel-Kues präsentiert Sommelière Ingrid Toonen nach einem Auftakt mit dem Gutssekt „O, welche Lust!“ verschiedene Mosel-Rieslinge und eine kraftvoll-süße Beerenauslese, alle aus dem Weingut Wegeler. Ob 2021 auch ein guter Jahrgang wird? Toonen hält sich bedeckt. Das Jahr sei sehr warm, aber auch sehr feucht gewesen. Das erkenne man unter anderem an den Helikoptern, die von früh bis spät Fungizide über den steilen Hängen versprühten, um vor Pilzbefall zu schützen. Und ob ein Jahrgang wirklich gut sei, müsse jeder Genießer für sich selbst entscheiden. Sie hat da ein simples Motto: „Wein schmeckt – oder er schmeckt nicht.“
Experten für Mosel-Riesling
Allmählich sind die Flusskreuzfahrer Experten für die feinen Mosel-Rieslinge geworden, plaudern im Lounge-Bereich des Schiffes über „Nase“, „Abgang“ und erkennen Noten von frisch gemähtem Gras, Stachelbeere oder Weinbergspfirsich im Glas. Und die Eindrücke von den – geführten Spaziergängen durch Luxemburg, Trier, Koblenz und Wiesbaden, aber auch durch kleinere Orte wie Karden, Winningen oder Alken füllen Köpfe, Notizbücher und Kameraspeicher. Auch die anfangs ängstliche Zurückhaltung bei jeder Begegnung in den schmalen Gängen und das vorsichtige Annähern beim gemeinsamen Essen – nicht selten begleitet von Mosel-Riesling – weichen einem entspannten Umgang mit den Corona-Sorgen.
Beim Ausschiffen in Frankfurt spürt dann so mancher ein leichtes Schwanken unter den Füßen und das liegt nicht am Mosel-Riesling. Obwohl das große Schiff praktisch keinen Wellengang hat spüren lassen, sind einem die Bewegungen längst vertraut und allgegenwärtig. Und so nimmt jeder der Reisenden zumindest für ein paar Stunden noch ein gefühltes Souvenir mit von Bord.